Leseproben
Kindheitserinnerungen einer Tübingerin, 1928
"Ich möchte etwas erzählen, mit Dankbarkeit und Freude über den guten Stern, der über meinem Schicksal stand."
… so beginnen sie, die Herzensgeschichten schon gleich nach der Geburt am 28.September 1928 in der Tübinger Frauenklinik, als es um das musikalische Talent und den sehr dringenden Kinderwunsch geht, doch endlich das Geigenspiel lernen zu dürfen.
" Meine Mutter wunderte sich sehr über diese für die Familie recht untypische Idee und erklärte mir meine musikalischen Ambitionen regelmäßig durch die damals in der Not beigemengte fremde Muttermilch, die ich als Säugling erhielt - ja hoffte womöglich, dass sich mit dem Nachlassen der Wirkung eines Tages alles in Wohlgefallen auflösen würde." Vergeblich! Bis es so weit war, dass ich den ersehnten Unterricht bekam, habe ich mir schon einmal mit zwei Kleiderbügeln, einem für den Bogen und einem für die Geige, zu helfen gewusst. Das aufmerksame Publikum bestand aus meiner Katze Ingeborg, die die Mitte einnahm und zugegebenermaßen mit Wurststückchen bestochen wurde, damit sie, links und rechts gesäumt von Puppen, den ihr zugeteilten Platz nicht verließe...
„…Von Ingeborg konnte ich überdies noch sehr viel mehr profitieren, denn sie brachte mir beispielsweise bei, wie man sich am besten verhielt, wenn die Mutter einmal böse war. So verkroch sie sich, wenn sie womöglich beim Stehlen in der Küche erwischt wurde, auf die obersten Dachbodenstufe im Haus und kam erst wieder herunter, wenn mein Vater am Abend nach Hause kam und die strenge Mutter unter dem sanftmütigen Einfluss alles wieder vergaß. So tat ich es ihr nach und wann immer ich größeren Ärger wähnte, nahm ich meine Leidensgenossin mit auf die rettenden Stufen und heulte so lange über ihr in den Schoß herunter, bis es Abend wurde, der Vater heimkam und alles wieder gut war...“
Erinnerungen einer Tübingerin, die 1965 nach Korea auswanderte
"Die zweite Heimat in meinem Leben"
...und so begann unser Abenteuer in Korea. Die Stadt, in der wir die ersten beiden Jahre verbrachten, hieß Naju und hatte 100 000 Einwohner. Wir lebten dort am Rande eines großen Reisfeldes in einem kleinen Häuschen und die Schule, in der ich die Kinder unterrichten sollte, befand sich direkt dahinter. Im Haus gab es eine Ölheizung und zwei Kochplatten, weder Radio noch Fernsehen. Das Wasser kam aus einem eigenen Brunnen und wurde weder zum Waschen noch zum Trinken oder Kochen empfohlen. Aus unserer Badewanne, die aus Ziegeln gebaut war, lief das Wasser hinaus. Das landesübliche Essen bestand aus Reis, Chinakohl, Knoblauch, Chili und Fischsoße und mein erstes selbst gebackenes Brot hat zwei Stunden Einsatz und viel Improvisationskunst verlangt. Im Winter wurde es so kalt, dass wir Eis an den Wänden hatten und im Sommer blieb das Thermometer über mehrere Monate bei teilweise achtzig bis neunzig Prozent Luftfeuchtigkeit zwischen fünfunddreißig und achtunddreißig Grad kleben. Auch in der Nacht. Aber … wir waren glücklich !
Nebenbei war das Reisfeld für uns besonders interessant. Es wurde nacheinander Gerste, Reis und Gemüse angebaut. Nach der Gerstenernte wurden die Felder geflutet. Dazu wurde ein Rad durch Wassertreten, manchmal auch durch einen Motor angetrieben, um wiederum die Bewässerung in Gang zu halten...
Artikel über einen Heimbewohner im Januar 2017
Über das Leben des Hans-Helmut Loder, der als schwäbischer Koch um die Welt reiste und dabei zum Künstler wurde.
Auf schwäbisch um die ganze Welt
Die Lebensgeschichte von Hans-Helmut Loder beginnt hier in unserem schwäbischen Städtchen Tübingen mit einer Hausgeburt am 24. Oktober des Jahres 1946. Dort wuchs er mit seinen Geschwistern im ehemaligen Gebäude der Bäckerei direkt neben der Lustnauer Milchstelle auf. Damals deutete wohl nicht viel darauf hin, dass der kleine Junge einmal in die weite Welt hinaus ziehen würde. Wie viele Frauen arbeitete die Mutter in der Tübinger Stofffabrik Egeria und Loder begann seine Schulzeit wie die meisten Lustnauer Kinder in der Dorfackerschule mit Unterricht in einem Klassenraum und einem Lehrer für alle vier Klassenstufen zusammen.
Nachdem er, als noch sehr junger Mann dann während der Volksschulzeit immer wieder in der Lustnauer "Rose" aushalf, um sich das Kino-Geld, damals fünfzig Pfennig, und einen Krug Bier zu verdienen, ist er im wahrsten Sinne des Wortes auf den Geschmack gekommen und 1962 im Tübinger Museum als Koch in die Lehre gegangen.
"Da flogen schon manchmal die Platten durch die Gegend" erzählt er schmunzelnd auf die Frage hin, ob´s denn in der Museumsküche arg streng zuging. " Mir hat´s Spaß gemacht!"
Ein Jahr ist er nach der Lehre noch geblieben, dann zog es ihn als Schiffskoch 1966 zur Marine. Dort entwickelte er auch die Leidenschaft für seine phantasievollen, oft mystischen Malereien. Doch dazu später mehr.
1970 nahm er die Stelle als Koch auf einem so genannten Butterdampfer bei der Reederei Egon Oldendorf in Flensburg an. Auf solchen Schiffen war es damals möglich in der so genannten drei-Meilen-Zone zollfrei einzukaufen. Rentner und Hausfrauen, manchmal bis zu 600 Personen bei einer Fahrt kamen tagsüber um günstig Waren, wie Kaffee und Butter, einzukaufen. "Das waren schon lange Arbeitstage auf diesen Schiffen, denn am Abend gab es dann Tanz und Musik und auch da wurden die Gäste mit vielerlei Gerichten aus Loders Schiffsküche bewirtet. "Kalte Platten habe ich dabei besonders gerne angerichtet."
Fortan reiste der junge Koch die nächsten Jahre auf verschiedenen Frachtschiffen immer weiter, erst durch Europa, nach Portugal, Spanien, Italien und dann in die ganze Welt hinaus. "Ich war fast überall. Peru, Argentinien, Mexiko, Kanada, und in den USA."
Viele Erinnerungen verbinden ihn mit diesen Reisen. "Ich habe auf unseren Landgängen Angolas ständig wechselnde Militärregierungen in den 70er Jahren und sehr fremde Mentalitäten kennen gelernt, die Revolution in Chile miterlebt und viel Armut gesehen, auch, wie manche Staaten unter der Ausbeutung der USA gelitten haben."
Als ich ihn frage, ob ihm nie etwas passiert ist auf diesen Ausflügen, verneint er unvermittelt. "Nicht ein einziges Mal. Wir wurden vor unseren Landgängen auf die jeweiligen Verhältnisse, Regeln und Gesetze sehr gut vorbereitet und wussten immer, worauf wir achten und wie wir uns verhalten mussten."
Wie man sich mit schwäbischer Muttersprache auf Schiffen, die mit internationaler Besatzung die ganze Welt umfahren, verständigt und ob es nicht schwierig ist, aller Herren Länder Gaumen gerecht zu werden, ist ein weiterer Punkt, der mich interessiert.
"Wir haben meist auf englisch kommuniziert und beim Aufnehmen von Bestellungen haben Kollegen geholfen. Auch hatte ich Bücher dabei." Was das Kochen betraf musste er sich in der Tat an die Nationalitäten auf dem Schiff halten. Alle wurden befragt, der Kapitän, die Offiziere, der Bootsmann und der Storekeeper, auch die acht bis zehn Passagiere, die häufig mit an Bord waren...
… als ich mich noch etwas genauer nach den Passagieren auf den damaligen Handelsschiffen erkundige, bin ich erstaunt, dass es sich dabei weder um zweck- oder Geschäftsreisende noch um harte Kerle handelte, die auf Abenteuersuche waren, sondern um Frauen, zwischen fünfundfünfzig und fünfundsechzig Jahren, die noch einmal etwas erleben wollten." Das ist nicht nur wegen der herben Bedingungen auf solch einem Schiff erstaunlich, sondern auch deshalb, weil selbst die erfahrenen älteren Kapitäne auf der Fahrt schon einmal seekrank wurden..."
Wenn er zwischendurch einmal etwas Muse hatte setzte Loder sich in seine geräumige Kajüte und begann große Puzzlebilder zu legen. "Dabei konnte ich mich immer gut entspannen!" Doch dabei blieb es nicht und nach und nach entwickelte sich daraus die Lust für das Setzen von Bildern aus bunten Halbedelsteinen. Auf Leinwand oder Glas wurde dabei der Grund seiner Werke aus verschiedenen, übereinanderliegenden Schichten figurativer und abstrakter Ölmalerei aufgebaut, in die dann die kleinen Steinchen zusätzlich gesetzt wurden.
"Auf dem Schiff hatte ich manchmal bis zu 140 Kg nach Farben und Größen in Gläsern und Plastikbechern sortierte Steine. Alle unterwegs oder im Schwarzwald gesammelt."
… Doch auch in Hans-Helmut Loders Leben spielte die Liebe eine entscheidende Rolle und 1978 gab er auf den Wunsch seiner Verlobten das Reisen auf und zog zurück in sein Heimatstädtle Tübingen. "Ich war sehr verliebt damals." Gerne hat er alsbald nicht nur für seine Christa aus Biberach gekocht, sondern auch für die heimischen Studenten im Tübinger Schlatterhaus.
Ich überlege, ob es da zuhause wohl Rivalitäten in der Küche gab - immerhin ging es um den üblichen Herrschaftsbereich der Frau. Doch die Verlobte hat sich das gerne gefallen lassen und so zog die Liebe tagtäglich aus der Hand des verliebten Kochs durch den Magen der jungen Geliebten.
Erst viele Jahre später, mit vierundfünfzig Jahren ließ sich Hans-Helmut Loder aus...